Das Fernwerk wurde durch Granattreffer vollständig zerstört, lediglich das Glockenspiel, die zarte Celesta konnte gerettet werden. Und auch die Hauptorgel blieb nicht verschont. Die Kirche diente eine zeitlang als Internierungslager und war mit Stroh ausgelegt, so dass Kriegsgefangene dort überwintern konnten. Aber diese Menschen fanden auch den Weg zur Orgelbühne und zersägten das Orgelgehäuse um Feuerholz zu haben, zerstörten den Spieltisch, der mit Silberdrähten gelötet war, welche man natürlich zu Nahrungsmittel machen konnte, und zu guter letzt suchten sie auch in der Orgel Zuflucht, natürlich ohne auf Orgelpfeifen achtzugeben. Nach dem Krieg stand ein trostloser unspielbarer Torso da.

Es grenzt an ein Wunder, dass schon kurz nach dem Krieg mit den wenigen Mitteln und wenigem Material , was vorhanden war , eine provisorische Restaurierung erfolgte , nicht zuletzt weil ja Vater Seifert an seinem „ Kinde“ hing. Aber die große Königin geriet durch die Orgelbewegung immer mehr in Vergessenheit, während dieser Zeiten wurden immer wieder „ moderne “Register eingefügt und ihr wahrer Charakter immer mehr verfälscht. Als sie dann im heißen Sommer des Jahres 1976 vollständig ihren Geist aufgab, entschloss man sich nach langem Ringen für eine große Restauration. Doch immer noch war man nicht so weit, dass man historisch wiederherstellte, sondern entschied sich für Kompromisslösungen, die bei einer Restauration eines Rembrandt Bildes undenkbar wären. Essentielle Klangfarben gingen verloren und wurden durch Farben der 70er Jahre ersetzt. Das Fernwerk wurde z.B nicht wieder aufgebaut, stattdessen wurde in die Hauptorgel ein barockes Continuo-Werk mit 13 Registern und Schleifladen positioniert, mit dem man während der Wallfahrtszeit vom 1.Mai bis 1.November jeden Sonntag den Chor und das Orchester begleiten konnte, was aber sonst mit der Ästhetik einer romantischen Orgel nichts zu tun hatte. Auch fielen viele Grundstimmen den spitzen Mixturen und Aliquoten dieser Zeit zum Opfer. Aber Dank ihrer Größe konnte man doch immer ihren wahren Glanz durchschimmern sehen und vor allem hören.So wuchs in den 80 er Jahren, nicht zuletzt durch ihren langjährigen Organisten Wolfgang Seifen ihr Bekanntheitsgrat immer mehr und der Wunsch unter Fachleuten, die Orgel in den Urzustand zu versetzen wurde immer lauter.

Zum Papstbesuch in Kevelaer 1987 erhielt das Instrument ein Chamade-Werk ( 16’,8’,4’) nach dem Vorbild der Cavaillé –Coll_Orgel von Sacre Coer, Paris um dem Klangschwund entgegenzuwirken, den sie auch durch den Wegfall der Sub- und Superkoppelanlage während der Restaurierung erlitt.

Dann , im Jahre 2002 während der Grundreinigung, veranlasste Organist Elmar Lehnen, dass alle artfremden Register nicht mehr eingebaut wurden, mit dem Ziel nach und nach, mit Hilfe von Spendengeldern die Originalregister wieder zu rekonstruieren. Doch dann sollte ein fast unrealistisch scheinender Traum wahr werden.

Ernst Seifert, der Sohn von Erbauer Romanus , der auch lange Zeit die Firma leitete, verstarb und hinterließ in seinem Nachlaß eine großzügige Spende mit einem Verwendungszweck: Nur zum Wiederaufbau des im Krieg zerstörten Fernwerkes der Marienorgel.

Seifert saß Sonntag für Sonntag im Gottesdienst auf der gegenüberliegenden Seite der leeren, dunklen Nordempore und schaute auf die große Kriegswunde. Durch seinen Anstoß konnte man unter Tränen der Rührung im Advent 2004 des nachts um 3.00Uhr die ersten Töne des wiedererstandenen Fernwerkes vernehmen. Es wurden historisierend alle 19 Register in einem Schwellgehäuse nachgebaut, lediglich das Aussehen ist nicht historisch. Anstelle eines einfachen dunklen Schrankes im hinteren Teil der Empore, entschied man sich zum Bau eines ,der Hauptorgel nachempfundenen Prospektes . In diesem Zuge wurde auch der Spieltisch renoviert. Alle Sub- und Superkoppeln, nebst der besonderen Melodiekoppel wurden rekonstruiert. Außerdem verfügt er nun über eine große Setzeranlage zu den bis dahin nur zwei vorhandenen freien Kombinationen. Weiter erhielt das Instrument ein Röhrenglockenspiel, was hinter dem Hochaltar seinen Platz fand. Der Gedanke, die Register der Hauptorgel zu vervollständigen, trat dann einige Jahre in den Hintergrund. Doch hat die Gründung eines Orgelbauvereins nun dazu beigetragen ,dass durch Spenden, Orgelkonzerte, Orgelführungen, Pfeifenpatenschaften u.ä. bis heute 14 Register der Hauptorgel rekonstruiert werden konnten, darunter die schmerzlich vermissten 16’ Streicher des Hauptwerkes, Oberwerkes und auch Schwellwerkes, wesentliche Register ,wie das Euphon 8’ (HW) ,die Violine 8’(HW), die Seraphonvioline 8’(SW) oder die unverzichtbare, glänzend weiche Streichermixtur Harmonia aethera 3f (SW). Nur drei Register fehlen zur Zeit zum Originalzustand, die silberhelle Cymbel 5f des Hauptwerkes (mit Septime und ohne Repitition !)und die Pedalaliquoten Septime 4 4/7 und Terzbass 6 2/5.

Die Firma Romanus Seifert und Sohn , z,Zt von Roman Seifert geleitet, kümmert sich immer noch liebevoll um ihr Instrument und trägt wesentlich zum Wiederentstehen des Originalen bei.

Werfen Sie einen Blick in das Inner der Orgel.


Quellen

  • Orgelführer Kevelaer: Karl-Heinz Göttert – Die Geschichte,
  • Internet: www.wallfahrt-kevelaer.de,
  • Zeitschrift für den Instrumentenbau XXXI Band 1910 – 1911,
  • Gregoriusblatt 1878,
  • Mündliche Erzählungen von Prälat Richard Schulte Staade (bis 2005 Wallfahrtsrektor an St. Marien)