Im Jahre 1641 vernahm der Kaufmann Hendrick Busmann beim Gebet an einem Hagelkreuz auf der Kevelaerer Heide an drei verschiedenen Tagen eine Stimme:“ An dieser Stelle sollst du mir ein Kapellchen bauen“. Auch seine Frau Mechel hatte des Nachts die Vision eines Heiligenhäuschens, in dem sich ein postkartengroßes Abbild der Muttergottes von Luxemburg befand, welches ihr von durchreisenden Soldaten zum Kauf angeboten worden war.

Tatsächlich wurde, im Einvernehmen mit dem Pfarrer von Kevelaer, Johannes Schick, dieses Heiligenhäuschen gebaut und am 1.Juni 1642 wurde auch das kleine, bei den Soldaten gesehene Gnadenbildchen eingesetzt.

In der Synode von Venlo heißt es:“ Sofort an demselben Tage kam zu dem Heiligenhäuschen eine große Schar Menschen aus Geldern und anderen Ortschaften. Auch geschahen viele Wunder, welche aufgezeichnet wurden“.

Die Pilgerscharen wurden so groß, dass man schon im Jahre 1643 mit dem Bau einer Wallfahrtskirche, der heutigen Kerzenkapelle, begann.

1654 wurde das Heiligenhäuschen mit einer sechseckigen barocken Kapelle umbaut, die nun als Gnadenkapelle das Zentrum des Kevelaerer Kapellenplatzes bildet.

Berichten zufolge pilgerten in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts jährlich schon über 100.000 Pilger zum Gnadenbild der „Trösterin der Betrübten“, so dass im 19. Jahrhundert der Entschluss gefasst wurde,eine neue,größere Wallfahrtskirche zu bauen, die heutige Basilika.

Der Kölner Dombaumeister Vinzenz Statz ( 1819-1899) errichtete zwischen 1858 und 1864 eine auf die Frühgotik französischer Kathedralkirchen zurückgreifende, reischiffige Basilika mit einer Länge von 70 m, einer Breite von 28 m und einer Höhe von 22 m. Die feierliche Konsekration erfolgte am 3.Juli 1864. Der, Kevelaers Stadtbild prägende Westturm mit 91 m Höhe, wurde erst 1884 vollendet.

Bemerkenswert ist die vollständige farbige Ausmalung im Nazarener Stil. Der Kirchenmaler Friedrich Stummel, der in Kevelaer extra zu diesem Zwecke eine Malerschule gründete,arbeitete bis zu seinem Tode im Jahr 1919 an dieser „Biblia pauperum“, eine „ Bibel der Armen“, die heilsgeschichtliche Vorgänge des alten und neuen Testamentes schildert. Nach seinem Tod setzen seine Schüler die Arbeit fort.

Im Jahre 1923 erhielt die Marienbasilika von Papst Pius XI den Ehrentitel Basilika Minor.

Während der Bauzeit der Basilika lebte in Kevelaer ein Orgelbauer namens Wilhelm Rütter (1812-1887) . Er baute schon 1842 eine 28 Register umfassende Orgel für die Kerzenkapelle. Leider existiert heute nur noch das Gehäuse, doch die Firma Romanus Seifert erbaute nach diesem Vorbild im Jahre 1990 ein neues Instrument ( 24 Reg, 2 Man, Ped.).

Auch in der Marienkirche baute Rütter ein erstes Instrument, sein größtes, mit 35 Registern auf 3 Manualen und Pedal.

Die Orgel ist in allen einzelnen Theilen mit großem Fleiße und Fachkenntnis aufgestellt… Das ganze Werk entwickelt Kraft und Fülle, und bietet einen Ton, der durch die günstige Akustik der Kirche imponierend genannt werden kann…

Revisionsattest ( Gregoriusblatt 1878)

Eine andere Quelle ( Archiv Seifert) berichtet jedoch, dass diese Orgel bei leerer Kirche fantastisch klänge, da aber bei den Gottesdiensten immer bis zu 2000 Pilgern anwesend wären, würde Organist Gerhard Korthaus, der bis zu seinem Tode im Jahr 1926 das Amt des Basilikaorganisten innehatte, an Depressionen leiden.

So suchte der Rektor der Wallfahrt, Prälat Brockes,im Jahre 1904 nach einem Orgelbauer, der in Kevelaer eine Filiale errichten sollte, um in der Marienkirche ein klanggewaltiges Instrument zu schaffen. Der Kölner Orgelbauer Ernst Seifert schickte seinen Sohn Romanus in die Marienstadt, der dann binnen zweier Jahren eine Riesenorgel erschuf, die heute noch die Welt begeistert:

An Größe und Umfang überragt sie wohl alle derartigen Werke Deutschlands, in ihrer Konstruktion und Einrichtung liefert sie ein getreues und vollkommenes Abbild der derzeitigen Standes der Orgelbautechnik, und bezüglich der Klangbeschaffenheit stellt sie den Inbegriff des ästhetischen und musikalisch schönen Orgeltones dar:. größte Mannigfaltigkeit und geschlossene Einheit, reich blühende Farbenpracht und majestätische Fülle, lebhaften Glanz und frische Präzision, ungetrübte Reinheit und herrlichen Wohllaut. Wir haben es hier mit einem Werke zu tun, das die Hoheit und Würde einer „Königin der Instrumente“ vollkommen in sich verkörpert …

Revisionsbericht (Domkapitular Carl Cohen, 16.9.1910)


Die Orgel erhielt 122 klingende Register auf vier Manualen und Pedal, wovon das vierte Manual mit 19 Registern, davon 3 Pedalregister, eine Besonderheit darstellte: Ein schwellbares Fernwerk auf einer Empore im nördlichen Querhaus der Basilika. Niemand wusste 1907 von „stereo“, doch in Kevelaer konnte man es erleben.

Das großartige,reichverzierte Eichengehäuse wurde auch von Kirchenmaler Friedrich Stummel entworfen. Auf einer imitierten Empore entstand ein gotisches Schwalbennest mit einer Höhe von 14 m, einer Breite von 9 m und einer ungewöhnlichen Tiefe von 10 m. Ein Haus mit drei Etagen, auf denen ca 10.000 Orgelpfeifen wohnen und klingen durften.

Ihre Blütezeit hatte die Orgel, als sie im Jahre 1926 noch einmal auf 131 Register erweitert und in dem Zuge auch elekrifiziert wurde. Durch ein Patent Seiferts, die Membranlade, war eine direkte, schnelle,aber auch weiche Ansprache gewährleistet.
Ohne weiteres kann man hier von einem Höhepunkt des romantisch- sinfonischen Orgelbaus sprechen, da ja nun auch schon die Rückbesinnung auf das barocke Klangideal eintrat. Nicht zuletzt Albert Schweitzer warnte, das Wesen des Instrumentes Orgel aus dem Blick zu verlieren und immer mehr ein Orchesterimitat zu schaffen. So verloren romantische Orgeln schon immer mehr an Ansehen.

Das Ansinnen des sinfonischen Orgelbaus war es, ein stufenloses Crescendo von der leisesten Äoline bis zum Tutti der Orgel zu erreichen,und das nicht nur durch große Schwellwerke, sondern vor allem durch eine Vielzahl von aufeinander aufbauenden Grundstimmen. Die große Marienorgel verfügte in jedem Manual über mindestens zehn 8’ Stimmen, das Hauptwerk basierte auf vier 16’Stimmen, das Oberwerk und das Schwellwerk auf je drei und sogar das Fernwerk hatte den Bordun 16’ . Das Fundament des Pedals waren drei 32’ Register. Ob Prinzipal-, Flöten-Zungen- oder Streicherfamilien, alle waren reichlich besetzt. Klanglich hervorzuheben und für Kevelaer überaus charackteristisch ist die Vielzahl der Streicher, z.B, im Schwellwerk, Salicet 16’, Seraphonvioline 8’, Salicional 8’, Äoline 8’, vox coelestis 8’, Cremona 4’ bis zur zauberhaften Streichermixtur, die harmonia aethera 3f.

Die ganze Orgel verfügt allein über 26 Streicherstimmen, darunter die sehr intensiven Seraphonstimmen, d.h. doppelt labierte Pfeifen, die natürlich auch in der Prinzipal- und Flötenfamilie nicht fehlen. Solistisch wunderbar einsetzbar und auch für eine fundamentale, gravitätische Kraft im ganzen Ensemble zuständig.

Als weitere klangliche Besonderheit verdienen die weichen, durchschlagenden Zungen eine Erwähnung: Euphon 8’im Hw, Fagott 16’ und Clarinette 8’ im Oberwerk, cor anglais 8’ im Fernwerk und das Fagott 8’ im Pedal. Leider riß der zweite Weltkrieg auch in dieses prächtige Instrument eine große Wunde, die immer noch nicht vollständig geheilt ist.

Lesen Sie mehr über die Restauration der Orgel:


Quellen

  • Orgelführer Kevelaer: Karl-Heinz Göttert – Die Geschichte,
  • Internet: www.wallfahrt-kevelaer.de,
  • Zeitschrift für den Instrumentenbau XXXI Band 1910 – 1911,
  • Gregoriusblatt 1878,
  • Mündliche Erzählungen von Prälat Richard Schulte Staade (bis 2005 Wallfahrtsrektor an St. Marien)